
Heute, am 19. Januar, wäre Paul Cézanne 179 Jahre alt geworden. Der Publikumsmagnet schlechthin: Paul Cézanne, Wegbereiter der Moderne. Setzt ein Ausstellungshaus diesen Namen in seinen Ausstellungstitel werden alle hellhörig. Er erweckt große Erwartungen und wenn man dann, wie in Karlsruhe geschehen noch mit neuen Erkenntnissen winkt, dann zieht es Besucher magisch an. Die Ausstellung scheint auf alle Fälle ein Publikumsmagnet zu sein. Denn wie es in zahlreichen Medien besprochen wird, ist Karlsruhe nicht Paris und trägt trotzdem eine beachtliche Anzahl an Werken des französischen Malers zusammen.
Der Besucher bekommt die berühmten Badenden zu sehen, die Schädelpyramide, seine Früchtestillleben, Landschaftsbilder des berühmten Gebirgszuges Montagne Sainte-Victoire, Porträts sowie Zeichnungen und Aquarelle. Das bleibt nicht ohne Wirkung und so strömen nicht nur Medienvertreter, sondern eben auch Besucher nach Karlsruhe, um die vom Kurator neu entdeckten Aspekte im Werk Cézannes unter die Lupe zu nehmen.
Da sich die Ausstellung vornehmlich unter dem Aspekt der Metamorphosen, also Wandelbarkeit, den Werken nähert, erfolgte die Hängung bewusst nicht in chronologischer Reihenfolge. Der Betrachter erhält so die Möglichkeit, sich ganz und gar der Formanalyse einzelner Elemente hinzugeben, unabhängig von Bildgattungen. Es wird dem Rezipienten ein neuer Weg angeboten den Entwicklungsprozess zur Moderne an Hand Cézannes Werken nachzuvollziehen. Es führt vor Augen, wie er sich von der Linearperspektive löste, die Farbwahrnehmung nutze, um den Bildraum atmosphärisch aufzuladen. Und es zeigt auf, dass nur das Spiel mit den Farben es ermöglicht Tiefenwirkung und Flächenzusammenhänge zu erkennen. Der französische Wegbereiter der Moderne selbst vollzog seine Form- und Strukturanalyse in seinem Atelier in Aix-en-Provence und der ihr umgebenden französischen Landschaft. Zudem analysierte er Werke älterer und auch zeitgenössischer Künstlern, erkundete Strukturen und Formgebungen immer wieder aus anderen Perspektiven, versuchte ihrer Entstehung und Wirkungsweise auf den Grund zu gehen und verwendete sie dann auch unabhängig von der ursprünglichen Herkunft. Könnte sich hinter der Felsformation des Steinbruchs Bibémus, nicht die Studie eines muskulösen Rückens einer Statue von Michelangelo verbergen. Bei der durch die leichte Drehung um die eigene Achse einzelne Muskelstränge in Rücken, Schulter und Arme hervor blitzen und nun von Cézanne metamorphosisch extrahiert und in eine starre Felsformation umgewandelt werden?
Oder in dem viel verwendeten Beispiel der zufällig ohne viel Beachtung niedergelegten Jacke auf dem Stuhl, sind nicht in ihrem Faltenwurf ganz ähnliche Erhebungen, wie sie auch beim des Felsmassivs des Montagne Sainte-Victoire zu erkennen, dass sich als Motiv durch derart viele Gemälde und Zeichnungen zieht, dass auch ein unerfahrener Betrachter bald erkennen wird, wie manisch anmutend Cézannes Wiederholungen wirken. Unablässig auf der Suche nach einer Methode das Schauspiel der Natur in die Malerei zu bannen.
Alexander Eiling hat versucht eine neue Lesart zu finden, welche die Werke, die bereits weltweit bekannt sind, sollten unter einem ganz anderen Licht präsentiert werden, um zu zeigen, dass sie noch gar nicht vollumfänglich analysiert sind, obwohl sie schon so oft gesehen wurden. Das ist das Spannenden dieser Ausstellung. Der Besucher kann selbst auf die Suche gehen, wo er welche Strukturenanalyse Cézannes wieder findet. Als Hilfestellung werden den Werken Cézannes, Werke gegenüber gestellt, an denen er sich orientiert und Strukturen gar kopiert hat. Im Raum „Stillstellen“ wird dem Porträt „Bildnis Madame Oeynhausen“ (1877) von Edgar Degas Werke Cézannes gegenübergestellt, wie sein Selbstbildnis, das Porträt von Madame Cézanne und unterschiedliche Totenkopfstudien. Verdeutlicht werden soll an diesem frechen Mix der Bildgattungen, dass es dem eigenbrötlerischen Maler egal war, ob er sich einem Porträt, einem Stillleben oder einem Landschaftsbild widmete. In seinen Bildern verschwimmen die Grenzen. Im Gegensatz zu Degas Porträt, welches versucht die Physiognomie und auch die Psyche einzufangen, erstarrt das Gesicht von Cézannes Frau Hortens zu einer maskenhaften Gestalt. Sein Anliegen liegt nicht in der Wiedergabe von Emotionen oder der Realität, sein Schwerpunkt konzentriert sich vielmehr darauf ein System von gebündelten Strichlagen zu entwickeln, um ein Motiv darzustellen, so Eiling. Ziel war es Vorder- und Hintergrund, Bildsujet mit Bildraum verschmelzen zu lassen, ohne es dabei in etwas Unerkennbares zu wandeln, sondern in ein harmonischen Wechselspiel zu bringen.
Die Ausstellung ist definitiv etwas für Cézanne-Kenner und jene die es werden wollen. Sie zeigt an Hand einer herrlichen Bandbreite seiner Werken, wie Cézanne durch intensives Studium der Meister, sowohl der Alten als auch der Neuen und der ihm umgebenden, liebgewonnen Natur, seine ganz eigene Bildsprache entwickelt. Dem Besucher wird so noch einmal deutlich vor Augen geführt, weshalb er als Wegbereiter zur Moderne gilt.