
Es ist schon eine Weile her, seit ich die Ausstellung Vita Duplex mit Werken von Sean Scully in der Kunsthalle Karlsruhe gesehen habe. Doch seither lässt mich die Schau nicht los. Nicht nur, weil die Kunsthalle zwischenzeitlich zusammen mit Anika Meier von @thisaintartschool zum #doubleassignment aufgerufen hat und ich den Hashtag eifrig verfolgte und selbst einen Beitrag auf Instagram dazu lieferte. Nein, die Ausstellung und ihre Nachwirkungen stecken immer noch tief in meinen Kopf, weil seine Wahl des künstlerischen Mittels sich ganz und gar auf Linien, Streifen und ab und an Rechtecke zu konzentrieren, diese mit Farbigkeit im Zusammenspiel oder Gegenspiel wirken zu lassen, so schlüssig empfinde. Sean Scully zeigt in seinen Werken das Leben, die jedem Leben inhärente Vielschichtigkeit von Hell und Dunkel, Freude und Traurigkeit, Liebe und Hass, Glätte und Rauheit. Seine Malerei ist durch und durch von Leidenschaft geprägt. Das kommt beim Betrachter an, man fühlt sich verbunden, vermag seine philosophischen Gedankengänge über die Natur des Menschen, das Leben, die Melancholie und die Sehnsüchte nachvollziehen.
Innerhalb der Ausstellung in der Kunsthalle Karlsruhe werden seine großformatigen Bilder stets flankiert von Zitaten des Künstlers. Aber auch Vorbilder der Klassischen Moderne, sowie zeichnerische Werke und fotografische Arbeiten Sean Scullys stehen dem dualistischen Verhältnis seines Oeuvres unterstreichend gegenüber. Gerade in den Zitaten wurde mir bewusst, wie stark selbst reflektierend Scully mit seinem Schaffen umgeht. Immer bemüht sein Innerstes nach Außen zu kehren. Oder zumindest das Bestmögliche versucht zu haben.
Eingeführt in das Werk Scullys wird der Besucher chronologisch. So wird man zunächst mit Frühwerken aus den 70ern konfrontiert mit sogenannten Gitter-Bildern, Horizontalen-Bildern und Landlines. Bereits hier werden seine Arbeiten begleitet von Interviews, Aufsätze, sowie Erläuterungen. Die wie es scheint, zumindest zum Großteil von ihm in Vorbereitung zur Ausstellung explizit ausgewählt worden sind.
Übersetzung eines handschriftlichen Vermerkes (2016) „Nothing is abstract“:
„Was ich kürzlich faszinierend fand, denn ich bin dabei Ausstellungen früherer Arbeiten zu organisieren, ist, dass ich als ich London verließ, um nach New York zu gehen, mit dem Gitter brach, oder um es anders auszudrücken: mein Gemälde das umgittern war, verlor das Gegitterte. Im Rückblick kommt mir das psychologisch aufgeladen vor. Ich verließ Europa und die Ordnung in Europa und ging nach New York, wo es in keiner Arbeit mehr stabilisierende vertikale gab. Sie verschwanden einfach und ich begann die horizontalen Gemälde in grau und schwarz zu malen, auf denen die Linien einfach nur hin und her verlaufen. Leute neigen dazu sich Abstraktion abstrakt vorzustellen, aber nichts ist abstrakt. Es ist immer noch ein Selbstbildnis, ein Bildnis des inneren Zustanden. Ich nahm die Vertikal heraus, die meine Säule meine Architektur war und womit ich zurück blieb war der Horizont. Und so konnte ich meine Reise an ihm entlang beginnen.“
Er reflektiert hier seine erste künstlerische Umbruchphase. Zu Beginn seiner Karriere, noch in London lebend, arbeitet er mit dem Gittermuster. Hat sein Leben dort ihn in eine Art eigenem Gefängnis gehalten, ihn eingeengt? Konnte er erst nach seinem Umzug nach New York, aus diesem Gitter brechen, um so dem Horizont, der Weite, den Möglichkeiten zu folgen? So scheint es. Denn er wird nicht wieder zum Gitter zurück finden. Aber, ob er nun wirklich freier ist, lässt sich nur schwer erahnen. Denn die folgenden Bilder aus den achtzigern und neunziger Jahren sind in Schwarz, Weiß und Grau gehalten. Oder liegt die neue tristere Farbgebung an seinen Orientierungspunkten den Malern Mondrian und Manet? Nach eigenen Äußerungen sind dies ihre Grautöne, die Farbtöne der Melancholie die sich in dieser Zeitspanne vornehmlich wieder finden.
Zusätzlich bricht er das rein flache Bild auf, indem er sie aus mehreren Tafeln zusammensetzt, gleich einem Triptychon/Diptychon. Das Gemälde erhält so etwas objekthaft-skulpturales, etwas konstruktives, es wird wortwörtlich zum gebauten Bild. Dabei gilt stets seine oberste Prämisse: „ich mache etwas, damit die Menschen es sich ansehen können, etwas, dass nicht abgeschlossen ist, nicht beendet, etwas, dass ausdrücklich mit dem Wunsch geschaffen wird, offen zu bleiben.
Diese Gedanken müssen auch der Ausgangspunkt zu seinen INSETS gewesen sein. Sie bilden ein herausstechendes künstlerisches Mittel. Er setzt Bilder ins Bild. So wird der Dialog zwischen Figur und Grund, der Bruch von Vorstellungen zwischen Fassade und Fenster in den Mittelpunkt gerückt. Mit dieser Arbeitsweise beginnt er bereits in den 1990ern und sie hält bis heute an. Die Bildform wird dabei zu einem Polyptychon erweitert!
In einem weiteren Raum, den Robe- und Mirror-Paintings wird nochmals die Dualität in künstlerischer Form verdeutlicht. Beim Betrachten dieser Bilder wird der Blick immer wieder von Spalten, Zwischenräumen, Rissen und Öffnungen mutwillig irritiert, abgelenkt und auf eine andere Eben gezogen ohne dabei die verborgene Ebene ganz zu offenbaren. Sie bleibt versteckt hinter der ersten Ebene und lässt viel Freiraum für eine subjektiven Gedankengang.
Die Ausstellung Vita Duplex zeigt auf vielfältige Weise eine Doppeldeutigkeit seiner Werke auf und stellt ganz hervorragend die besondere Bedeutung Sean Scullys innerhalb der Kunstgeschichte der Contemporary Art heraus. Er nimmt die vermittelnde Position ein zwischen europäischer und amerikanischer Abstraktion ein. Verbindet in seinen Werken beide Pole indem er ganz offenkundig der traditionellen europäischen Kunstgeschichte zugetan ist, aber in seinem Minimalistischen Stiltendenzen, sowie seinen Action-Painting-haften Zügen, den amerikanischen Einfluss nicht leugnen kann und will. Zeitgleich gibt er der Abstraktion eine Persönlichkeit, indem er ihr ausnahmslos die Ausdrucksmöglichkeit für Emotionen einschreibt. Seht selbst, welche Emotionen bei euch geweckt werden und besucht die Ausstellung noch bis zum 5. August 2018 in Karlsruhe.